Die B’VM freut sich, mit Kuno Roth einen ersten Gastblogger zu begrüssen. Als Co-Präsident einer NPO und selbständiger Berater teilt er hier in Zukunft seine Erfahrungen im Bereich des organisationalen Lernens mit Ihnen.
Mentoring ist eine Lernmethode zur beruflichen Entwicklung, die auf Erfahrungsweitergabe und Reflexion in einem sicheren Raum beruht – das ist die Quintessenz des Einführungstextes ‘Mentoring – Schlüssel zum beruflichen Gedeihen’. In dieser Kolumne geht es nun um die Praxis des Mentorings, beginnend mit der Frage des Nutzens von Mentoring.
Triple Win – dreifacher Gewinn
Das primäre Ziel von Mentoring ist, Mentees zu fördern. Doch nicht nur sie profitieren, die Mentor:innen und die Organisation tun dies ebenfalls. Die wichtigsten Vorteile aus meiner Sicht sind [1]:
Die Benefits für Mentees sind sich praxisnah weiterzuentwickeln, beruflich zu gedeihen und die Freude daran. Indem sie mit einer erfahrenen «Reflexionshilfe» über berufliche Situationen nachdenken, verbessern Mentees ihre Kompetenzen. Sie wachsen daran, dass sie offen über Herausforderungen und Schwächen sprechen können; sie lernen so diese zu überwinden (statt zu verstecken). Sie erhalten überdies psychosozialen Support, das heisst, sie haben jemanden, die sich um sie kümmert.
Mentor:innen gewinnen an der Freude am Austausch und am Wachsen ihres Mentees. Sie bekommen Wertschätzung sowie etwas Reflexionszeit im oft hektischen Berufsalltag – ein nicht zu unterschätzender Benefit. Und sie lernen selbst auch, nämlich z.B. gute Fragen zu stellen, zuzuhören, andere Perspektiven zu verstehen.
Für die Organisation lohnen sich Mentoring-Programme, weil sie Knowhow und gute Praxis verbreiten sowie interne Netzwerke stärken. Die investierte Zeit bekommt sie durch verbesserte Kompetenzen und Selbstreflexionsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden ‘zurück’. Diese fühlen sich in ihrer Entwicklung unterstützt, und sowohl Mentees wie Mentors können so eine höhere Job-Zufriedenheit entiwckeln, was wiederum deren Bindung zur Organisation stärkt.
Zudem gibt es einen wichtigen Nebeneffekt: Weil die NGOs vom Engagement ihrer Mitarbeiter:innen leben, ist es für Organisationen in der volatilen, unsicheren und zwiespältigen Welt der Polykrise besonders wichtig, zu den Mitarbeitenden Sorge zu tragen. Und fühlen sie sich wohl, arbeiten sie besser und sind resilienter. Mentoring ist dabei gewissermassen ein Fürsorge-Mittel in homöopathischer Dosis.
Rahmenbedingungen
Damit diese Benefits tatsächlich eintreten können, gilt es einige Rahmenbedingungen zu beachten:
- Zwischen Mentee und Mentorin darf kein strukturelles Abhängigkeitsverhältnis bestehen, weil nur so offen über Sorgen des Mentees gesprochen werden kann.
- Die Chemie von Mentorin und Mentee muss stimmen, das heisst, das Matching ist zentral [2]. Dabei auf eine gewisse Diversität zu achten ist zwar wichtig, sollte aber nicht zu gross sein: Vertrauen ist die Basis jeder Mentoring-Praxis, und dafür braucht es einen guten Draht zueinander, was bei hoher Diversität schwieriger ist. In jedem Fall: Ein einfacher Indikator für einen guten Match ist, ob sich beide aufs Mentoring-Gespräch freuen.
- Mentoring ist zwar eine der günstigsten beruflichen Entwicklungsmassnahmen, trotzdem braucht es etwas Investition für eine fädenführende Person für Konzeption, Entwicklung, Evaluation, Qualitätssicherung etc.
- Mentor:innen brauchen etwas Qualifizierung: Mentoring ist zwar nicht besonders delikat, und es genügt oft, wenn die Mentorin gut zuhören kann sowie sozial kompetent ist. Dennoch ist es wünschenswert, Mentor:innen in den Grundfähigkeiten – gute Fragen stellen, konstruktives Feedback geben und Zuhören – zu schulen [3].
- Die Mentees benötigen eine Einführung in ihre – pro-aktive – Rolle.
- Die monatliche Zeitinvestition beträgt für die Mentor:in etwa anderthalb Stunden und zwei für Mentee, wenn man von einem durchschnittlichen Mentoring mit 8 – 12 Mentoring-Gesprächen à 1 – 1.5 Stunden ausgeht. Diese finden alle 3 – 5 Wochen statt, und also ein Mentoring in der Regel 6 bis 12 Monate dauert.
- In dieser Zeitspanne werden vier Phasen durchlaufen: 1. Beziehungs- und Vertrauensaufbau, 2. Vereinbarung und Festlegung der übergeordneten Ziele, 3. Eigentliches Mentoring, 4. Abschluss.
- Mentoring braucht ein paar wenige Instrumente:
Die häufigsten Fehler und ihre Vermeidung
Werden diese Rahmenbedingungen eingehalten und die gegenseitigen Erwartungen mit einer Vereinbarung geklärt, kann fast nichts schieflaufen. Falls doch, dann meistens aus einem der folgenden Gründe:
Der häufigste– wen erstaunt’s – ist Zeitmangel: Wenn die Mentees unter Zeitdruck geraten, kann das nicht dringliche Mentoring untergehen. Abhilfe: Die Mentoring-Sitzungen für Monate hinaus in beide Kalender eintragen.
Wird ein schlechter Match nicht korrigiert und also trotz mangelnder Passung weiter gemacht, ist es meist vertane Zeit. Dem kann vorgesorgt werden, indem aktiv kommuniziert wird, dass ein Mentoring auch abgebrochen werden kann.
Ein weiterer Grund ist, wenn die Mentorin zur Beraterin wird. Das kann auf zwei Weisen geschehen: 1. Die Mentorin ist keine geduldige Zuhörerin und gibt vorschnell Tipps und direkte Anleitung. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn Mentor:innen meinen, sie müssten ihre Mentees verbessern oder genau zu wissen, was getan werden sollte. 2. Oder andersrum: Wenn die Mentorin als Beraterin ‘missbraucht’ wird, also dann, wenn der Mentee von ihr wissen will, was sie an seiner Statt tun würde. In diesem Fall findet keine Reflexion statt.
Sitzungs-Prozess
In Anlehnung an den Reflexionsprozess (siehe Einführungskolumne) kann für das Mentoring-Gespräch das Drei-Schritte-Modell benutzt werden [4], um am Thema des Mentees strukturiert zu arbeiten. Jeder Schritt wird im Folgenden kurz beschrieben und auf einem separaten Blatt an einem fiktiven Beispiel illustriert.
Die Mentorin moderiert die Mentoring-Gespräche entlang der drei Schritte “Erkundung”, “Neues Verständnis” und “Umsetzungsplanung”. Der Mentee bereitet die Sitzung vor und lädt dazu ein.
Erster Schritt – Erkundung: Der Mentee erläutert sein heutiges Thema. Die Mentorin fragt einerseits nach, um zu verstehen. Sie hört vor allem zu, achtet auf die Mimik und versucht andererseits, die Gefühle des Mentees zu erkennen. Sein Lerneffekt dabei: Was man beschreibt, reflektiert man zugleich.
Zweiter Schritt – Neues Verständnis: Mit Fragen zu Aspekten des Themas sowie anderen Perspektiven auf das Thema, wird des Mentees Horizont erweitert. Auch hier fragt die Mentorin vornehmlich, kann aber auch eigene Erfahrungen einbringen oder auch ein Feedback zum ersten Schritt anbieten. Als Überleitung zum 3. Schritt, kann die Mentorin das neue Verständnis zusammenfassen (versuchen).
Dritter Schritt – Umsetzungsplanung: Damit neue Einsichten wahrscheinlicher zu veränderter Praxis oder Verhalten führen, werden Handlungsoptionen durchgespielt und ihre möglichen Konsequenzen überlegt: Was geschähe, wenn der Mentee dieses oder jenes tun würde?
Die Handlungsoptionen soll der Mentee möglichst selber formulieren, die Mentorin kann mit Fragen anleiten oder anekdotisch Erfahrungen einbringen sowie auf Lektüre, Tools, Kurse, Vorlagen etc. verweisen.
Mentoring Formate und Formen
- Klassisches Mentoring (darauf bezieht sich die Kolumne): Ein erfahrener und persönlich gefestigter Mensch (Mentor:in) unterstützt einen weniger erfahrenen Menschen (Mentee) in dessen beruflicher und persönlicher Entwicklung. Der/die Mentor:in stellt Ohr, Erfahrung, Knowhow und Netzwerk zur Verfügung. Heutzutage meist online oder als Mischform.
- Reverse Mentoring: Dieses Form ist wegen der Digitalisierung aufgekommen: Der/die Mentor:in ist jünger als die/der Mentee, aber erfahrener in der virtuellen Welt. Ein gutes Format, vor allem dann, wenn es als Tandem gestaltet wird, also die Rollen für ein zweites Thema getauscht werden, bei dem der Jüngere von der Erfahrung der Älteren profitiert.
- Cross Mentoring: Mentorin und Mentee kommen aus verschiedenen Organisationen, was den Horizont durch eine weitere Perspektive erweitert. Beispiel: Across Organisation Mentoring Programm (AOMP).
- Gruppen-Mentoring: Ein:e Mentor:in begleitet mehrere Mentees als Gruppe, die das gleiche Thema haben. Eingesetzt, wenn ein wesentlicher Teil des Lernens ein Peer-Learning unter den Mentees sein soll oder wenn zu wenige Mentor:innen verfügbar sind.
- Peer-Mentoring (Buddy-System): Mentoring unter «statusgleichen» Kolleg:innen, z.B. innerhalb einer Community of Practice. Während einer Buddy-Sitzung haben beide je einmal die Rolle des Mentees bzw. der Mentorin, d.h. jede bringt ein Thema ein.
- Informelles Mentoring: Die häufigste Form des Mentorings. Dabei gehen Mentor:in und Mentee aus eigenem Antrieb in eine Mentoring-Beziehung und gestalten diese selbst. Eine Organisation tut gut daran, aktiv und wiederholt ihre Mitarbeitenden zu ermuntern – so ist es wahrscheinlicher, dass auch Introvertierte wagen, sich eine:n Mentor:in zu suchen.
Fussnoten:
[1] weitere Benefits siehe zum Beispiel auf der Plattform Coach-Mentoring oder beim Career Guide
[2] Fürs Matching, d.h. passende Akteure zusammenbringen, werden zunehmend digitale Tools eingesetzt. Das ist durchaus nützlich, sollte aber mit Bedacht eingesetzt und mit der Option des manuellen Matchings ergänzt werden (weitere Erläuterungen).
[3] ‘Gut zuhören’ ist mehr als nur aktives Zuhören, um zu verstehen, es geht auch um empathisches Zuhören (mit-fühlen) und darum, auch das zu hören, was nicht gesagt wird. Hilfreich dafür ist das 4-Stufen-Model von Otto Scharmer. Und beim Fragen stellen geht es weniger darum ‘gescheit’, sondern vertiefend zu fragen, wofür oft die ‘TED’-Fragen – im richtigen Moment gefragt – bereits ausreichen: ‘Tell me more’, ‘Explain to me’ oder ‘Describe to me’.
[4] das Drei-Schritte-Modell ist eine Kurzform des im Coaching oft verwendeten GROW Modells (Goal, Reality, Obstacles & Options, Way forward).