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Diversität und Inklusion

Jenseits von Diversitywashing und Mission Strategiearbeit in Vereinen – neun Grundfähigkeiten als Gelingensvoraussetzung.  

Keine NGO, die sich nicht auf die Fahne geschrieben hätte – oder ins Personalreglement -, dass ihr Arbeitsumfeld inklusiv und die Diversität darin hoch sein soll. 

«Diversität und Inklusion(D&I)» bezieht sich dabei auf organisatorische Rahmenbedingungen, die «die faire Behandlung und volle Teilhabe aller Menschen» fördern sollen, insbesondere von Mitarbeiter:innen (-Gruppen), «die in der Vergangenheit aufgrund ihrer Identität oder Behinderung unterrepräsentiert oder diskriminiert wurden». Diversität meint das Vorhandensein von Vielfalt innerhalb einer Organisation, etwa bezüglich Hautfarbe, Sprache, körperliche Einschränkung, Bildungsgrad, Alter und Gender. Und Inklusion bezieht sich auf das Ziel einer Organisationskultur, die «allen Beschäftigten das Gefühl gibt, dass ihre Stimme gehört wird» und Zugehörigkeitsgefühl vermittelt (Zitate aus Wikipedia). 

Auch dürfte man sich darüber einig sein, dass die Vision sein muss, dass sich das D&I-Management mit der Zeit erübrigt, weil Diversität und Inklusion selbstverständliche Kultur geworden sind. Das heisst, alle haben Empathie für Andersartigkeiten entwickelt, und wer sich im gesellschaftlichen Alltag immer wieder als Minderheit empfindet, hat dieses Gefühl am Arbeitsplatz nicht (mehr). Damit ist nicht gemeint, dass «sich alle jederzeit in die Situationen aller einfühlen können», sondern – am Beispiel einer Rollstuhlfahrerin erläutert – folgendes: Zufussgehende müssen sich nicht stets vorstellen, wie es Rollstuhlgebundenen in gewissen Situationen ergehen könnte. Doch alle Mitarbeitenden haben ein Sensorium für die speziellen Bedürfnisse dieser Gruppe und die Rollstuhlgebundenen sind bei Infrastrukturplanungen ganz selbstverständlich einbezogen. Auf der anderen Seite hat die Rollstuhlfahrerin Verständnis dafür, dass nicht alle jederzeit an sie denken, doch muss sie weder Hemmung haben noch grossen Aufwand überwinden, auf eine spezifische Schwierigkeit hinweisen zu können. Und nehmen wir nun «Rollstuhl» als Metapher für irgendeine Einschränkung, entspräche dies folglich der besagten Kultur die «Rollstuhlsituationen» von beiden Seiten selbstverständlich und ohne Aufheben einbezieht. 

Davon ist man freilich vielerorts noch weit entfernt. Denn Studien zeigen, dass von einem verbreiteten «Diversity-Washing» ausgegangen werden muss. Wie beim «Greenwashing» wird nur so getan als ob. Das sagt die Diversitätsforscherin Johanna Degen in einem Interview. So zeige ihre Forschung in deutschen Firmen beispielsweise, dass Diversity Management oft nur ein Aushängeschild ist, weil für den Rechtsschutz nötig. In der Realität hätten Diversity Managers in der Regel keine Macht und könnten strukturellen Diskriminierung nicht an den Kragen gehen. Bemerkenswert sei insbesondere, dass Diskriminierungsbetroffene die Frage, ob sie sich bei einer erlebten Benachteiligung an die/den Diversity Manager wenden würden, mit der Begründung verneinten, dass diese/r ihnen nicht helfen könnte. Das alles spreche allerdings nicht gegen ein Diversity Management, nur gegen die vorherrschende Praxis, sagt Degen weiter [1]. 

Erweiterung des Diversitäts-Begriffs 

Diversität wird dabei meist oft auf die genannten einfachen Kriterien – Hautfarbe, Gender etc. – beschränkt. Doch gibt es weitere Diversitäten, und ich meine, man müsste das Diversitätsverständnis erweitern. Allerdings sind diese anderen Aspekte meist komplexer und damit schwieriger zu handhaben. Wenn es z.B. um Unterschiedlichkeit in politischen Ansichten, in Werthaltungen im Umgang miteinander oder um soziale Aspekte geht. Wo und wie legt man hier Grenzen fest, ab welcher exkludiert wird? Kann man sich vorstellen, dass ein SVP-Mitglied bei Greenpeace arbeitet? Nicht wirklich. Es scheint eine Grenze zu geben, die sich aus der Werthaltung ergibt. Doch wie legt man einen Wert griffig fest und setzt ihn durch? Und könnte es dabei zu Diskriminierung kommen? Kann ein Standard diskriminierend sein, da er Vielfalt per se ausschliesst? Wie bringt man zusammen, sich für Demokratie und gesellschaftliche Mitbestimmung einzusetzen, selber ist man aber hierarchisch organisiert? 

Heterogenität und Homogenität 

Im erweiterten Sinn von Diversität ist die Heterogenität ein besonderer Aspekt, der sich auf Charaktereigenschaften und Neurodiversität bezieht. Er stellt einem vor das Dilemma, dass man zwar weiss, dass charakterliche Andersartigkeit hilft, festgefahrene Muster und blinde Flecken zu erkennen, doch gleichzeitig kann sie auch befremdend sein: Man fühlt sich tendenziell zu Seinesgleichen hingezogen (bleibt aber so in seiner Komfortzone).  
Anders gesagt stellt sich die Frage: Wieviel Homogenität brauchst du für dein Wohlbefinden in Zusammenarbeiten? Welche und wieviel Heterogenität ist aushaltbar und wirkt befruchtend? Wie kannst du ggf. elastischer werden?  

Tönt eigentlich spannend, ist jedoch herausfordernd. Man stelle sich nur Fragen vor wie zum Beispiel: Wie viele extrovertierte Mitglieder braucht bzw. verträgt es in einem Team? Was tun mit einem Team, in dem alle introvertiert sind? Wer tut was wie, um Persönlichkeits-Diversitäten zu inkludieren und zuvor ggf. gezielt zu rekrutieren? Würde man sich dabei am verbreiteten «5-Faktor-Modell der Persönlichkeit» (The Big 5) orientieren, kämen neben der «Extraversion» noch vier weitere Faktoren hinzu, unter anderem die Gewissenhaftigkeit, welche unter Teammitgliedern oft grosse Schwankungen zwischen ‘gut organisiert’ bis ‘nachlässig in der Ordnung’ zeigt. Welcher Mix wäre hierbei gut? Und braucht es überhaupt Steuerung oder regelt sich das selber und gut? [2] 

Wie auch immer, ein entscheidender Punkt ist, dass Heterogenität und Homogenität sich nicht widersprechen. Sie sind vielmehr Polaritäten (in einem Kontinuum), die sich wie Licht und Dunkelheit gegenseitig bedingen und ergänzen: Das eine kann nicht ohne das andere existieren, ein «Sowohl als auch». Die Kunst ist, die Balance zu finden. Dafür eignet sich z.B. das vom Kommunikationspsychologen Friedemann Schultz von Thun entwickelte Modell des Wertequadrats (für jene, die das Modell nicht kennen: im Kasten wird das «Wertequadrat» anhand eines Beispiels erklärt). 

 Nach ihm entstehen Konflikte, wenn das Gleichgewicht zweier sich bedingender Werte kippt, weil einem Wert zu viel Aufmerksamkeit gegeben wird und er dadurch zur Schattenseite mutiert, also wenn etwa aus dem Wert ‘Sparsamkeit’ Geiz wird (siehe Kasten).  

 Im Fall der Heterogenität und Homogenität stehen sie dann in der Balance, wenn das richtige Mass an befruchtender Andersartigkeiten und an ‘heimatgebender Gleichartigkeit’ gefunden ist. Welches Mass richtig ist, ist natürlich schwierig zu bestimmen. Man merkt eher das Ungleichgewicht, also wenn zu viel Homogenität zu einer Blase und damit zu einer Uniformität im Denken geführt hat. Oder zu viel Heterogenität zu einem Gefühl des Fremdseins. Der Extremfall auf der einen Seite ist die Mission, die im Prinzip eine «Zwangshomogenität» will (‘alle müssen das so wie ich sehen’) und auf der anderen Seite die «Zwangsheterogenität», wenn also Diversitätsaspekte moralisch fordernd als prioritär eingebracht und anderen aufgedrängt werden. Ein solcher Hang zur Mission ist ein Zuviel dessen, was eigentlich gut ist. Und in meiner Wahrnehmung ist er in Bewegungen und NGOs ziemlich verbreitet und führt oft zu internen Konflikten. Diese sind ein Indikator für ein Ungleichgewicht. Gemäss Schultz von Thun kommt man aus diesem ‘Untergrund der Schieflage’ wieder nach oben, indem eine Entwicklung entlang der Diagonalen angestrebt wird: Wer zur Mission bezüglich eines Diversitätsaspekts neigt, könnte respektieren lernen, dass andere ein Bedürfnis nach etwas Homogenität haben oder diese aus sachlichen Gründen in Kauf nehmen wollen. Wer sich andererseits nur in einer Blase Gleichgesinnter wohlfühlt, könnte versuchen, sich für andere Sichten und Charaktere zu öffnen. Das geht nicht einfach so. Dafür braucht es gruppen-psychologische oder organisationskulturelle Massnahmen, wie z.B. Teambildung oder Training [3], um eine Sensibilität für Diskriminierung und unbewusste Vorurteile zu schaffen. 

Fazit 

Gerade wer sehr engagiert ist, ist oft im Tunnel seines Dings gefangen und kann übersensibel reagieren, wenn jemand ‘das’ anders sieht. Überempfindlichkeit ist zwar meist verständlich, doch schwierig zu handhaben. Ein durch Diskriminierung gebranntes Kind scheut nicht nur das Feuer, sondern sieht es bei einem kleinsten Funken schnell lichterloh brennen. Dem sagt man neudeutsch Trigger. Das eigentlich Gute, nämlich sensibel zu sein für Diskriminierung und sich für deren Aufhebung einzusetzen, kann in eine Kampfhaltung kippen, ohne dass diese nötig wäre. Und wer andere angreift, löst Abwehr, Gegenangriff oder Trotz aus. 

 Jedenfalls, so scheint es mir, ist dieses «Zuviel des Guten» oft ein Dilemma engagierter Menschen. Wer Ungerechtigkeiten in der Welt eliminieren will, neigt oft zum Dogmatischen, womit der Kampf um Inklusion exklusive Züge annehmen kann. 

 PS: In diesem Zusammenhang Interessant weil paradox ist: Was im Einzelfall Übersensibilität sein mag, ist bei gehäuftem Auftreten indes ein Indikator für gesellschaftliche Entwicklung zur Besserung. Dieses Phänomen heisst Tocqueville Paradoxon. Es besagt, dass sich mit dem Abbau einer bisher unterdrückten Ungerechtigkeit gleichzeitig die Sensibilität ihr gegenüber erhöht, weil sie an die Oberfläche gekommen und nun im Abbau begriffen ist [4].  

Wertequadrat

Das Wertequadrat von Schulz von Thun basiert auf der Annahme, dass jedem Wert ein gleichwertiger Gegenwert gegenübersteht und dass die Kunst des (Arbeits-)Lebens darin besteht, diese Werte im Gleichgewicht zu halten. Jeder Wert – und jede menschliche Eigenschaft – kann nur dann seine konstruktive Wirkung entfalten, wenn er sich in diesem ‘gespannten’ Gleichgewicht mit einem ‘Schwesterwert’ befindet. Ohne diese Balance verkommt ein Wert zu seiner abwertenden Übertreibung des zuviel des Guten.  

An einem Beispiel erläutert: Zum Wert ‘Sparsamkeit’ gehört ‘Grosszügigkeit’, damit erstere nicht in Geiz ausartet. Und umgekehrt schützt das Gleichgewicht mit der Sparsamkeit den Grosszügigen vor Verschwendung. Die Grundannahme ist, dass in jedem ‘Laster’ eine nützliche Komponente steckt. So verbirgt sich hinter dem Geiz die wertvolle Fähigkeit, Geld zu sparen. Das Wertequadrat lässt sich so darstellen:  

Gemäss Schultz von Thun, liegt die Entwicklung in die Balance in der Diagonale: Wer es mit der Sparsamkeit übertreibt und zum Geizhals wird, muss etwas Grosszügigkeit entwickeln. Komplementär dazu liegt die Entwicklung für den verschwenderischen Menschen darin, Sparsamkeit zu akzeptieren und sich darin zu üben.  

Das Modell hilft, Spannungen zu analysieren und einen Weg aus einem ungesunden Ungleichgewicht zu finden bzw. Schwesternwerte in einer dynamischen Balance zu halten und konstruktiv wirksam werden zu lassen.  


[1] Interview mit der Sozialpsychologin und Diversity-Forscherin Johanna L. Degen in der Psychologie Heute, Heft 06/23, S. 47 (PH, 06/23). 

[2] Ein Team-Rollenmodell hat der Psychologe Meredith Belbin entwickelt. In seiner Forschung hat er festgestellt, dass die Mitglieder eines Teams typische Rollen besetzen, woraus eine Teamstruktur entsteht. Mit seinem Modell, das nicht unumstritten ist, können Teams ein Stärke-Schwäche-Profil erstellen. Mehr siehe Wikipedia. 

[3] siehe «Unconscious Bias Training That Works» von Francesca Gino und Katherine Coffman (Sept 2021). Sie zeigen auf, dass gewünschtes Verhalten in nachhaltigen Trainings eingeübt werden kann. Sie sagen aber auch, dass die meisten D&I-Trainings laut ihren Untersuchungen eben das nicht sind, weil man sich bloss durch einen Online-Kurs klickt und die Sache so abhakt. Erfolg bringen nur Trainings mit Übungen und Transfer-Support (mehr dazu). 

[4] Siehe dazu Wikipedia oder zusammengefasst bei Krogeruns&Tschäppeler (Das Magazin, 28/22). 


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