Kontakt
Newsletter

„Entlernen – zwar einfach, aber nicht leicht“ von Gastautor Kuno Roth

learn to unlearn

Die B’VM freut sich, mit Kuno Roth einen ersten Gastblogger zu begrüssen. Als Co-Präsident einer NPO und selbständiger Berater teilt er hier seine Erfahrungen im Bereich des organisationalen Lernens mit Ihnen.


Es gibt leider nicht nur gute Gewohnheiten

Bekanntermassen lernen die meisten Menschen am besten durch «Learning by doing» sowie durch «Versuch und Irrtum». Das Sprichwort «Übung macht den Meister» trifft den Kern des Erlernens von Fähigkeiten und Fertigkeiten aber auch von Gewohnheiten, und zwar sowohl für gute wie für schlechte.

Dabei sind viele Gewohnheiten nützlich und in der Form von Routinen für die Bewältigung des Alltags teilweise auch notwendig. Allerdings können sich einige der Gewohnheiten als schlechte entpuppen, etwa weil sie der Gesundheit schaden. Und es gibt solche, die massenhaft gelebt der Umwelt schaden. Umweltschutz, der Schäden aus gewohnheitsmässigem Verhalten mindern will, bedeutet somit im Prinzip angenommene Verhaltensweisen zu entlernen, d.h. sie aufzugeben oder umweltfreundliche einzuüben: «Unlearning-by-doing-eine-neue-Gewohnheit» sozusagen. Solches als Ent- bzw. Umlernen ist zwar unspektakulär und für den «Real Change» nötig, aber fast nicht zu schaffen. Denn: «Old habits die hard», wie es treffend heisst. Dass «Verhaltensänderungs-Lernen» trotzdem gehen kann, zeigen Dan und Chip Heath in ihrem Buch «SWITCH» (1). Sie haben fünfzig Fälle realer Veränderungen in zwanzig Ländern untersucht und daraus ein Modell aus drei Elementen abgeleitet, das solchen Umlernprozessen unterliegt:

  1. The Rider (das analytische Selbst, die Kognition): Er oder sie braucht Vorgaben und hat ein Ziel.
  2. The Elephant (der biographische Rucksack): Die eigene Trägheit verhindert Änderung. Es sei denn, man könne dem inneren Elefanten glaubhaft machen, dass das erste Stück Weg kinderleicht zu bewältigen ist. Schwenkt er einmal auf den neuen Kurs ein, rückt er nicht so schnell wieder davon ab.
  3. The Path (der Weg zum Ziel): Weil jede Gewohnheitsänderung viel Trägheit zu überwinden hat, muss der Weg zum Ziel in kleine Schritte unterteilt werden, so dass vor allem das erste Wegstück bewältigbar scheint.

Fazit: Ein vorgeschlagener Lösungsweg muss dem Reiter zwar einleuchten, aber vor allem dem Elefanten als «gefühlt machbar» erscheinen. Veränderung beginnt deshalb eher mit einem Gefühldenn mit einer kognitiven Faktenerfassung. 

Veranschaulicht am einfachen Beispiel «Wohnung aufräumen wollen (und das nie schaffen)» sieht das Modell so aus: Das Ziel leuchtet ein, weil es dem eigenen Bedürfnis entspricht. Also stellt sich die Frage, wie man seinen «Antiputz-Elefanten» in Bewegung bringt: Den als lang empfundenen Weg in machbare Schritte zerlegen. Dafür macht man z.B. mit sich ab, jeden Tag fünf Minuten aufzuräumen. Nicht mehr! Diese quantité négligeable lässt den Elefanten glauben, das zu schaffen – und er macht’s. Und er freut sich mit der Zeit, dem Ziel näher zu kommen. Die Dosis kann in der Folge ggf. erhöht werden. Diese Methode ist bekannt als «5-Minutes Therapy» und kann auf andere Bereiche übertragen werden (und für eine «Neue-Gewohnheitsroutine» siehe Kasten).

Zweites Beispiel: Ein britischer Entwicklungshelfer bekam vom vietnamesischen Aussenministerium den Auftrag, die verbreitete Fehlernährung unter Kinder zu bekämpfen. Es beschied ihm, er habe sechs Monate Zeit «to make a difference».

Er ging in ein Dorf, in dem seine Organisation tätig war, wandte sich an die Mütter und fragte sie, ob es in ihrem Dorf gesunde Kinder gäbe oder ob alle krank seien. Es gab in der Tat einige gesunde Kinder. Seine Strategie war nicht die übliche «to anlayse the problem and to fix it», sondern die hellen Flecken im Dunkeln – «the bright spots» – näher anzuschauen. Also fragte er sich, was die Familien mit gesunden Kindern anders machen als jene mit kranken. Er fand heraus, dass diese Kinder vier statt nur zwei Mal am Tag assen, zwar die gleiche Menge aber in kleineren verträglichen Portionen. Zudem fügten sie dem Reis protein- und vitaminhaltige Garnelen und Süsskartoffelgrün bei. Statt wie üblicherweise nun einen Kurs zu organisieren, mit dem ein Wissender den Unwissenden richtig zu kochen beizubringen versuchen würde, engagierte er «Bright-Spot-Mütter», die mit Müttern kranker Kindern zusammen kochten und ihnen zeigten, wie sie es machen. So wurde mit «was meinesgleichen kann, kann ich auch» diesen Müttern ein machbarer erster Schritt gezeigt und damit der Weg zur Verhaltensänderung geebnet. Sechs Monate nach dem ersten Besuch des Entwicklungshelfers waren 65% der kranken Kinder im Dorf besser ernährt (siehe ganze Story «Look for the bright spot and copy it»).

Noch ein drittes Beispiel aus dem Buch «Switch»: Eine Forscherin untersuchte, wie es Dompteure schaffen, Affen dazu zu bringen, die ihnen nicht gegebene Fähigkeit «Skateboardfahren» zu lernen. Resultat: Mittels konsequenter Belohnungsstrategie, das heisst, jeder Schritt in die richtige Richtung wurde mit einer Mango belohnt, falsches Tun einfach ignoriert. Die Forscherin testete diese Erkenntnis an ihrem Mann: Statt ihn wegen seines ungenügenden Sockenmanagements zu kritisieren und zu belehren, lobte sie ihn nur noch für jedes Anzeichen guten Verhaltens. Nach kurzer Zeit war der jahrelange Kampf vorbei. Der Mann bekam seine Socken in den Griff.

Bei aller Vorsicht damit, aus tierischem Verhalten Schlüsse auf den Menschen zu ziehen, gehen modernes Coaching und Leadership in eben diese Richtung: Ressourcenförderung statt Problemorientierung. Also anstatt Untergebene oder Kolleg*innen bei Fehlverhalten zu tadeln, sie bei guten Taten zu «ertappen» und darin zu bestärken.

PS: Es gibt übrigens noch ein ähnliches Modell für «Verhaltensänderungs-Lernen», das der Psychologe Matthias Hammer entwickelt hat. Er nennt es MICRO-Habits (2), das aus fünf Schritten besteht: Merken – Intention finden – Complicationen managen – Routine aufbauen – Ohne Vorwurf. Die ersten zwei Schritte entsprechen dem „Rider“, im dritten Schritt lässt sich der Path erkennen und der vierte ist dem Elefanten ähnlich. Ohne Vorwurf sich selbst ein guter Coach sein erlaubt auch mal einen Rückfall. Hammer meint, dass mit diesen fünf Schritten jede*r schädliches Verhalten zum Positiven verändern und damit umlernen kann.

Zwei-Minuten-Arbeitsstart

Wie etwas Optimismus in den Arbeitstag bringen? Hier eine zweiminütige Übung, die jeden Morgen vor Arbeitsbeginn gemacht werden kann.  

Auf Papier oder im Kopf eine Antwort auf jeden der drei Sätze formulieren:

  1. Heute werde ich mich auf _____ konzentrieren.
  2. Heute bin ich dankbar für _____.
  3. Heute werde ich _____ loslassen (bzw. sein lassen).

Im Schnitt sind wir 1’000 Minuten pro Tag wach. Zwei davon investieren, um unser Gehirn auf positiv zu «framen», verbessert die Qualität der anderen 998 Minuten. (Quelle: «This Two-Minute Morning Practice Will Make Your Day Better», by Neil Pasricha)

(1) Chip und Dan Heath: «Switch: Veränderungen wagen und dadurch gewinnen!», Scherz Verlag (2011), siehe Besprechung hier.

(2) Matthias Hammer: «Micro Habits – Wie Sie schädliche Gewohnheiten stoppen und gute etablieren», mvg verlag (2019), mehr dazu hier.


Diese Artikel von Kuno Roth sind bereits im B’VM Blog erschienen:

„Lernen von Seinesgleichen“

„Lernerfolg und -transfer: Wie messen?“

Holen Sie sich Expertenwissen!

7 praxiserprobte Kooperationsformen
für Ihre Organisation

Jetzt PDF herunterladen:
Über neue Zusammenarbeitsformen erfahren
und von fundierten Erkenntnissen profitieren.

Weitere Beiträge

Zuhören – Dünger für den Wandel

Gut zuhören ist ein Verstehen, das tiefer geht als das kognitive Erfassen des Gesagten. Es geht auch um dessen Erfühlen, um das Hören zwischen den Zeilen. Oder in Anlehnung an den ‘Peitit Prince’: um das Hören mit dem Herzen.

Das Finanzjahr der NPO: Pflicht und Kür im Frühlingsprogramm

Vom Zahlensalat zu faktenbasierten Entscheidungen: Die Steuerung der NPO lässt sich professionalisieren, wenn auf Basis der Jahresrechnung eine Kosten- und Leistungsrechnung erstellt und daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Wenn der Verein zur Stiftung werden will

Zahlreiche Vereine die als Trägerschaft für eine Drittleistungs-NPO fungieren und deren Mitgliederbasis vor allem aus natürlichen Personen besteht, haben Mitgliederschwund zu verzeichnen. Dies ist vor dem Hintergrund, dass es sich um eine «solidarische Mitgliedschaft» ohne direkten Eigennutzen für das einzelne Mitglied handelt, nicht allzu erstaunlich.

Job
Team Hände
Projektleiter/in Soziales und Genossenschaftskultur 80-100 % (w/m/d)

Die Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ) ist eine gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft, die kostengünstigen und attraktiven Wohnraum für alle Generationen erstellt und vermietet. Als grosse Siedlungsgenossenschaft prägt sie mit nahezu 2300 Wohnobjekten und einem Gewerbeportfolio im Zürcher Stadtkreis 3 das Leben im Quartier Friesenberg positiv.

Wie die Transformations-Kurve kratzen?

Ob Organisationsentwicklung oder gesellschaftliche Transformation, Veränderungen lösen oft Ängste aus, und daraus resultierend Widerstand. Daraus schlagen Populisten Kapital – so analysiert es der Soziologe Armin Nassehi in seinem Buch «Kritik der grossen Geste». Wie sich solche Widerstände speziell gegen die ‘Klima-Transformation’ manifestieren, hat eine Studie in 19 Ländern untersucht.

Rückblick Netzwerkanlass 2025

Was wir am Netzwerkanlass von B’VM und VMI im Austausch mit über 100 Teilnehmenden über den Einsatz von KI vermittelt und gelernt haben. Der Netzwerkanlass 2025 von B’VM und VMI im Januar beschäftigte sich dieses Jahr mit dem Thema der Chancen und Risiken beim Einsatz von KI.

Diversity und Geschlechtergerechtigkeit – Welche Rolle spielen Frauennetzwerke und was können sie bewirken?

Frauennetzwerke sind ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Bestandteil feministischer Gleichstellungsarbeit. Sie bieten ihren Mitgliedern Vorteile wie Erfahrungsaustausch, Unterstützung bei der Karriereentwicklung und Förderung weiblicher Führungskräfte. Sie haben aber auch ihre Grenzen.

Neue Mitglieder gewinnen – Umsetzungsrahmen aus der Praxis

Die Gewinnung neuer Mitglieder kann eine Herausforderung darstellen, aber es gibt zahlreiche effektive Ansätze. Dieser Artikel beleuchtet die Erstellung eines Umsetzungsrahmens, der auf Mitgliederbefragungen und Analysen basiert und zeigt verschiedene (mögliche) Maßnahmen aus der Praxis auf.

Das Freiburger Management-Modell (FMM) auf dem heissen Stuhl

Die B'VM im Interview mit Philipp Erpf, Direktor und Verantwortlicher für die Weiterbildung beim VMI. In diesem Interview setzen wir das FMM auf den heissen Stuhl und hinterfragen es kritisch.

Save the Date: Netzwerkanlass des VMI und der B’VM

K.I. und digitale Tools im Einsatz bei NPO – Chancen und Risiken. Reservieren Sie sich jetzt den Termin für unseren spannenden Netzwerkanlass im Januar 25! 15. Januar 2025 von 17.15 bis 18.45 Uhr im Hotel Bern

Wir sind gerne für Sie da

Nutzen Sie das Kontaktformular, schreiben Sie uns eine E-Mail oder rufen Sie einfach kurz an.

Schweiz

Deutschland

Österreich

Kontaktformular

Newsletter